Kirchenneubau - mehr als ein Gebäude?
 

Der evangelische Theologe Paul Tillich schließt einen Aufsatz zu Fragen des Kirchneubaus mit dem Satz: „ Wie der Akt des Glaubens ist auch die Errichtung von heiligen Stätten ein Wagnis." Auf dieses Wagnis haben wir uns als Kirchengemeinde eingelassen. Bisher war es in der Gemeinde üblich den Raum, in dem der Gottesdienst stattfindet, als Kirche zu bezeichnen. Jetzt wartet die neue Kirche, um mit Leben erfüllt zu werden. In einem Religionsbuch finde ich den Satz: „Jesus hatte Kirche, wo Menschen waren. Wir haben Kirche, wo Bänke sind." Was müssen wir als Gemeinde tun, damit dieser Satz nicht auch bei uns wahr wird?

Für mich dient der Kiichbau zentral der Verkündigung der guten Nachricht vom Leben, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus. Dazu versammelt sich die Gemeinde, um in Gebet und Lied auf Predigt und Abendmahl zu antworten. Im Gottesdienst geht es um uns Menschen mit unseren Fragen und Freuden, mit unseren Sorgen und Sehnsüchten, mit unserer Hilflosigkeit und unserer Hoffnung. All das tragen wir vor Gott. Dazu spielt die Orgel, liest der Kirchenvorsteher aus der Bibel, singt der Chor, betet die Gemeinde und predigt der Pastor. So war es vorzeiten, und so ist es auch heute.

Unser Landesbischof E. Lohse sieht Zeichen dafür, „daß der Gottesdienst nicht nur bei festlichen Gelegenheiten, sondern auch im Laufe des Jahres langsam wieder an Bedeutung gewinnt. Daß beim Kirchen tag so viele Menschen - vornehmlich Jugendliche - zu den Gottesdiensten strömten, sie lebendig mitgestalteten und in großen Scharen an der Feier des Abendmahls teilnehmen, setzte ein weithin sichtbares Signal. Dabei erwartet man offenbar gar nicht so sehr, daß der Gottesdienst auf moderne Weise gestaltet sein müsse. Man sucht vielmehr Möglichkeiten, um Gemeinschaft  zu erfahren, möchte hineingenommen und beteiligt sein, möchte durch die Mahlfeier spürbar erleben, daß der Leib Christi die vielen Glieder zur Einheit verbindet, und sich eingeladen fühlen, wiederzukommen."

Lassen wir uns auf dieses Wagnis ein, in der Kirche, im Gottesdienst Gemeinschaft zu suchen und zu schaffen, oder haben wir bereits resigniert? In der Überschrift steht die Frage: Kirchneubau - mehr als ein Gebäude? Hören wir noch einmal, was unser Landesbischof anregt: „Lassen Sie uns die große Möglichkeit wahrnehmen, die uns hier eröffnet wird: daß ungezählte Menschen mit der stillen Hoffnung die Kirche betreten, ein gutes Wort zu hören, in einem Lied frühere Begegnungen mit der christlichen Botschaft wiederzuerkennen und Ermutigung angesichts stärker empfundener Ratlosigkeit zu erhalten."

Kirchneubau kann so über den neu geschaffenen Raum, in dem Gottesdienste stattfind en, ja auch bedeuten - innerer Neubau der Kirche als Gemeinschaft von Menschen, die auf dem Weg sind, in unserer Zeit zu glauben, nach Gott zu fragen.
Der Neubau der Gemeinde erwächst nach unserer evangelischen Auffassung aus dem Hören auf Gottes Wort, wie es uns in der Bibel weitergegeben wird. Darum nimmt die Kanzel in unserer Kirche neben Kreuz und Altar auch eine zentrale Stellung ein. Dort soll ausgelegt werden, was wir die frohe Botschaft, die gute Nachricht nennen. Wenn es stimmt, was Heinz Zahrnt schreibt - und ich glaube, es stimmt -, dann geht es auch im Gottesdienst um das Gespräch zwischen biblischer und heutiger Glaubenserfahrung. H. Zahrnt drückt es im Bilde so aus: „Die Bibel bildet fortan kein Kursbuch des christlichen Glaubens mehr mit festgelegtem Heilsfahrplan auf unverrückbaren Schienen; sie gleicht eher einem Logbuch, in das frühere ,Fahrensleute' ihre Positionen, Beobachtungen, Widerfahrnisse und Erfahrungen eingetragen haben, nicht wortwörtlich zu wiederholen, wenn man nicht auflaufen will, wohl aber gut und nützlich zu lesen für alle, die nach ,Orientierung' trachten.
Die Bibel ist das Licht des Glaubens, das in der Welt leuchtet, aber die Gegenwart liefert den Sauerstoff, der das Licht erst zum Brennen bringt. Darum genügt, um den gegenwärtigen Abbruch der biblischen Tradition aufzuhalten, nicht einfach nur der entschlossene Rückgriff auf die Bibel: ,Es steht geschrieben - und damit basta!'; vielmehr bedarf es dazu einer intensiven Erfahrung der eigenen gegenwärtigen Wirklichkeit, und das heißt immer auch eigener gegenwärtiger religiöser Erfahrung. Wer in der Gegenwart nicht Gott entdeckt, der findet ihn auch in der Bibel nicht - und umgekehrt."

Der Kirchneubau als Raum, in dem sich dieser Prozeß vollziehen kann, in dem wir uns versammeln, um uns neu aufbauen zu lassen, darin sehe ich die Aufgabe, die vor uns liegt. Und das ist nicht nur von der Architektur her ein Wagnis! Also kann ich jetzt einen Schritt weiter gehen und in Ergänzung zur Überschrift schreiben: Kirchneubau - die Chance und das Wagnis, sich als Gemeinde Jesu Christi neu bauen zu lassen. Damit haben wir den Weg von der Planung bis zur Einweihung zurückgelegt, vor uns liegt ein neuer Weg, mit diesem Haus, das wir Gotteshaus nennen, zu leben, Erfahrungen zu machen. Das Zeltdach unserer Kirchee erinnert uns daran, daß wir auf dem Weg sind.
Der Name unserer Kirche: ,Sankt Petri Kirchengemeinde' kann uns dazu verhelfen, den Mut auf diesem Weg immer neu zu finden. Denn Petrus, der Jünger Jesu, war ein Mensch mit Fehlern und Stärken. Jesus nennt ihn den Fels, auf dem er seine Kirche (=Gemeinde) bauen will. Jesus hält zu ihm trotz, ja vielleicht auch gerade wegen seiner Schwächen. Und Petrus kehrt immer wieder zu ihm, seinem Herrn zurück. Derselbe Petrus, der den Mut verliert und sagt: ,Ich kenne diesen Jesus nicht', derselbe Petrus spricht aber auch das Bekenntnis: ,Du bist der Christus!'.
Es ist kein gerader Weg, aber ein Weg, der immer wieder in die Nähe Jesu führt.

Ich fragte, was müssen wir als Gemeinde tun? Kirchneubau - mehr als ein Gebäude? Ja, wenn wir uns neuen Erfahrungen öffnen. Ja, wenn wir Erwartungen an die Kirche haben. Ja, wenn wir bereit sind, uns einlassen auf die Begegnung mit dem ,Logbuch' Bibel, der Einladung an den Tisch des Herrn, den Altar, folgen.

Und schließlich und endlich aus vollem Herzen Ja, wenn wir darauf vertrauen, daß nicht wir es sind, die Kirche baue n, sondern Jesus selbst es ist, der uns als ,lebendige Steine' gebrauchen will zum Bau seiner Kirche. Darum haben wir uns auf das Wagnis eingelassen, heute eine heilige Ställe, ein Gotteshaus, eine Kirche oder wie man es nennen will, zu bauen.

Pastor Heinz-Dieter Wittenborn